Wellenbrecher in der Klimakrise
Steigender Meeresspiegel, Extremwetter, Artensterben: Die Klimakrise trifft Pellworm besonders hart – und schon heute. Doch was passiert mit der Insel, wenn sich nichts ändert?
Steigender Meeresspiegel, Extremwetter, Artensterben: Die Klimakrise trifft Pellworm besonders hart – und schon heute. Doch was passiert mit der Insel, wenn sich nichts ändert?
Collage: Laura Binder, Fotos: pixabay
Es ist einfach zu viel Wasser. Seit Wochen regnet es in Strömen, die Gräben laufen über. Doch die Pellwormer:innen können die Schleuse nicht öffnen. Die Insel wird zur Badewanne. Straßen sind unbefahrbar, Bäuer:innen verlieren ihre Ernte, Tourist:innen können schon lange nicht mehr kommen. Pellworm im Jahr 2050, eine Dystopie.
Wenn der Klimawandel in dem Tempo fortschreitet, wie es Wissenschaftler:innen prognostizieren, könnte das Leben auf der Nordseeinsel in 30 Jahren so aussehen. Pellworm liegt direkt vor der Küste Schleswig-Holsteins, im Durchschnitt einen Meter unter dem Meeresspiegel. Und der soll steigen, je nach Szenario um mehr als einen Meter bis zum Jahr 2100. Wird Pellworm untergehen?
Rund 26 Kilometer Deich schützen die Insel vor dem Wasser. Ohne ihn würde Pellworm bei jeder Flut überschwemmt. Nur die alten Höfe, die auf künstlich aufgeschütteten Hügeln stehen, sogenannten Warften, blieben dann noch trocken. Man könnte deshalb meinen, dass Ernst August Thams, 63, ein sorgenvolles Leben führt. Er ist der Deichgraf der Insel, ein Ehrenamt. Bei einer Sturmflut ist er dafür verantwortlich, dass der Deich hält. Noch ist dieser hoch genug. Die Frage ist nur, wie lange noch.
„Wenn der Meeresspiegel steigt, müssten die Deiche eigentlich mitwachsen“, sagt Thams. Dem Außendeich gibt er noch 30 bis 40 Jahre, dann sei er zu niedrig. Und dann? „Braucht es einen neuen Deich. Einen Klimadeich, breiter und höher.“ Die Krone des Klimadeichs soll fünf Meter breit sein. Wenn es hart auf hart kommt, kann man ihn noch einmal um gut einen Meter erhöhen. So ein Klimadeich würde rund 100 Millionen Euro kosten, schätzt er. Wer diese Kosten tragen soll, ob Schleswig-Holstein, der Bund oder die EU, ist unklar. Aber noch bleibt Thams gelassen. „Die Deiche hier halten seit Jahrhunderten“, sagt er.
Viel größere Sorgen als das Meer bereitet ihm das Wasser, das vom Himmel kommt. Denn: Regenwasser bleibt erst mal innerhalb des Deichs. Überall auf der Insel leiten Entwässerungsgräben das Wasser in den Siel, ein großes Sammelbecken in der Nähe des Hafens. Bei Ebbe öffnet sich das Tor, und das Regenwasser fließt ins Meer. Durch den Meeresspiegelanstieg verkürzen sich die Niedrigwasserzeiten, also die Stunden, in denen die Insel entwässert werden kann. Die Folge: Das Wasser staut sich, läuft über, überschwemmt Straßen und Felder.
Auch die Landwirtschaft, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor der Insel, leidet unter dem Klimawandel. Sie orientiert sich normalerweise an den Jahreszeiten. Auf die können sich die Bäuer:innen nun nicht mehr verlassen. Später Hagel ruiniert Ernten, manche Jahre sind zu trocken, andere zu nass, dazu kommen Überschwemmungen aus dem Sammelbecken. Durch das warme Klima verweilen zudem Zugvögel auf der Insel. Gänse auf dem Weg in die Arktis, die sonst nur im Herbst und im Frühjahr hier stoppten, bleiben nun von Oktober bis Mai. Sie fressen das Wintergetreide. Viele Bäuer:innen sind wütend.
Die allermeisten Flächen auf Pellworm beackern Bäuer:innen, die ihre Felder konventionell bestellen: Sie besprühen sie mit Gülle, spritzen Insektizide und bauen Mais an, damit ihnen die Gänse nicht die Felder leer fressen. Gänsen schmeckt der Mais nicht. Deshalb wachsen auf Pellworm dieses Jahr 300 Hektar davon, so viel wie noch nie. Für Vögel, kleine Säugetiere und Insekten ist das ein Problem: Weil im Mais nichts nisten kann – und weil er immer wieder auf demselben Boden angebaut werden kann, der so immer weiter auslaugt. Es ist ein Teufelskreis, angefacht durch die Klimakrise.
Man könnte sich fragen: Warum sollte man Pellworm überhaupt retten? 100 Millionen Euro für einen neuen Deich, das ist viel Geld für gerade einmal rund 1.200 Inselbewohner:innen. Trotzdem wäre es ein Armutszeugnis, die Insel verloren zu geben, findet die Bürgermeisterin Astrid Korth. Schon allein, weil man damit etlichen Familien die Heimat nähme.
Die Insel zu retten, ist aber nicht nur Selbstzweck. Pellworm, die Halligen und die übrigen Nordseeinseln schützen die schleswig-holsteinische Küste bei Sturmfluten. Sie sind Wellenbrecher, die das Schlimmste vom Klimawandel abbekommen. Werden Pellworm und seine Nachbarn fallen gelassen, steigt der Druck auf die Küste.
Die höheren Temperaturen, Starkregen und Dürre, die Gänse, das Artensterben: Zusammengenommen bedrohen die Auswirkungen der Klimakrise die Zukunft der Insel. Untergehen wird Pellworm aber nur dann, wenn die Menschen sie aufgeben. Schon heute müssen die Pellwormer:innen auf den Klimawandel reagieren. Bisher sind es relativ kleine Anpassungen: Mais statt Gerste auf den Feldern ist eine Umstellung, aber zu verkraften. Bald braucht es schon eine neue Pumpe zur Entwässerung und einen teuren Klimadeich. Und danach? Horrende Versicherungssummen, Immobilienpreise im Keller, Überflutungen und Dürren? Was ist die Insel ihren Bewohner:innen und der Gesellschaft wert? Wenn sich nichts ändert, werden die Anpassungskosten irgendwann zu hoch werden. Dann wird Pellworm in der Klimakrise einen schleichenden Tod sterben.