Sturmflut des Geldes
Nach Pellworm kommen die Urlauber wegen seiner Ruhe. Aber auch fern von Industrie und Großstadttrubel wird bezahlbarer Wohnraum knapp. Denn immer mehr Menschen wollen hier leben – doch bauen können sie nicht.
Nach Pellworm kommen die Urlauber wegen seiner Ruhe. Aber auch fern von Industrie und Großstadttrubel wird bezahlbarer Wohnraum knapp. Denn immer mehr Menschen wollen hier leben – doch bauen können sie nicht.
Illustration: Laura Binder
Pellworm ist grün. Vom Deichrand ins Innere der Insel erstrecken sich Felder, saftige Wiesen, vereinzelte Höfe und Einfamilienhäuser, sparsam hingestreut wie Bonbons beim schwäbischen Faschingszug. Auf einem Quadratkilometer leben hier 33 Menschen, in Hamburg fast 2.500. Doch die Weite trügt, denn die Insel hat ein Platzproblem, genau genommen fehlt Bauplatz.
Tom Koch sagt von sich, er sei ein „echtes Pellworm-Kind“. Vor 21 Jahren wurde er auf der nordfriesischen Insel geboren. Hier ging er zur Schule, schloss die mittlere Reife ab und lernte seine heutige Freundin kennen. Als er 2016 für eine Ausbildung zum Land- und Baumaschinenmechatroniker aufs Festland zog, wusste er bereits, dass er irgendwann auf die Insel zurückkehren würde. Sein Traum: ein eigenes Grundstück mit Haus.
Seit gut zwei Monaten lebt Tom Koch nun wieder auf Pellworm. Allerdings nicht im eigenen Haus, sondern in seinem alten Kinderzimmer. Ein Grundstück kann er sich nicht leisten. „Wie soll ich in meinem Alter eine Million Euro auf den Tisch legen?“, fragt er. Für diesen Preis wurde vor Kurzem ein Haus auf der Insel verkauft. Koch sitzt in der Einfahrt vor seinem Elternhaus, rechts von ihm die Garage, links das Wohnhaus. Gemeinsam mit seinem Vater will er nun das Obergeschoss zu einer eigenständigen Wohnung umbauen.
Tom Koch würde gern auf dem Feld seiner Eltern bauen.
„Vor fünf Jahren waren die Grundstücke hier noch finanzierbar“, sagt Koch. „Jetzt ist es auf Pellworm gefühlt wie auf Sylt.“ Koch träumt von einem großen Grundstück, auf dem er auch Platz zum Schrauben und Werkeln hat. „Viel anderes kann man hier ja nicht machen“, sagt er. Wenn er langfristig nichts Bezahlbares finde, sagt er, wolle er vielleicht doch wieder zurück aufs Festland ziehen. In Husum kostet Baugrund die Hälfte dessen, was Koch auf Pellworm zahlen müsste.
teurer sind Häuser auf Pellworm im Vergleich zu 2017
Quelle: Immowelt Hauspreise 2017
Die Gemeinde Pellworm wächst, dauerhaft leben etwa 90 Menschen mehr auf der Insel als noch vor fünf Jahren. In so einer kleinen Gemeinde mit heute 1219 Dauerbewohner:innen entspricht das einem Anstieg um acht Prozent. Seit 2017 sind Wohnungen und Häuser 40 bis 50 Prozent teurer geworden. Mindestens 23 günstige Mietwohnungen fehlten 2019 laut einer Erhebung der Gemeinde.
Nicht nur Inselrückkehrer wie Tom Koch finden keine Häuser, auch für das dringend benötigte Fachpersonal gibt es keinen zusätzlichen Wohnraum. Seit Monaten sucht Pellworm eine zweite Ärztin. Dem Hotel MeerLand fehlen zurzeit fünf Mitarbeitende, unter anderem für die Küche. Und der dringend benötigte Reetdachdecker zog erstmal mit dem Wohnwagen nach Pellworm, um von dort aus eine dauerhafte Unterkunft zu suchen.
Hausmeister Sergeii Mizev im Garten der Ferienwohnanlage.
Selbst von jenen, die schon länger auf der Insel arbeiten, suchen einige noch verzweifelt eine dauerhafte Bleibe. Sergeii Mizev etwa ist seit vier Jahren Hausmeister für einen Anbieter von Ferienwohnungen, seine Frau kocht im Restaurant Schipperhus. Mit den zweijährigen Zwillingstöchtern leben sie in der Ferienwohnungsanlage von Mizevs Mutter – auf 40 Quadratmetern.
Die kleine Familie hätte gern doppelt so viel Platz. Zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und einen Garten für die Mädchen wären schön, sagt Mizev. Doch mit ihrem Budget von 500 Euro blieb die Suche bislang erfolglos. Auf dem nordfriesischen Festland wäre die Suche schwierig, auf der Insel ist sie aussichtslos. „Ich habe schon Wohnungen besichtigt, die haben geschimmelt oder waren viel zu teuer“, sagt Mizev. Er will unbedingt bleiben, Pellworm, sagt er, ist seine Heimat geworden. „Ich kenne hier jeden, alle respektieren mich.“ Die Kinder können auf Pellworm in kleinen Gruppen in den Kindergarten und später in die Schule gehen.
Die Hoffnung, endlich eine Wohnung zu finden, hat Mizev noch nicht ganz aufgegeben. Beim Amt habe er nachgefragt, aber keine Hilfe bekommen. Am ehesten könnte es über den Arbeitgeber der Mizevs klappen. „Als alleinstehende Person kriegt man manchmal noch Wohnungen über die Betriebe. Aber für Familien gibt es nicht genug Platz.“
Die Geografin und Inselforscherin Beate Ratter sieht Pellworms Problem in der Demografie: Wenn junge Leute weggingen und nicht wiederkommen könnten, erodiere die Gesellschaft. „Wer schippt im Winter die Straße, in der nur Zweitwohnungen stehen?“ Bei Sturmfluten müssen junge Menschen an den Deichen patrouillieren. Pellworms Bevölkerung ist älter als die des Landkreises Nordfriesland. Vor allem 20- bis 50-Jährige fehlen auf der Insel. Auch, weil nicht alle, die wollen, herziehen können. Viele haben erst im Alter genug Geld, um sich ein Haus auf der Insel leisten zu können.
Über die Gründe für die Wohnraumknappheit streiten die Pellwormer:innen. Die einen machen den Tourismus verantwortlich und wollen den Bau von Ferienwohnungen beschränken. Die anderen halten Urlaubsgäste für notwendig, damit die Insel wirtschaftlich überlebt. Sie kritisieren die vielen Zweitwohnungen.
Bei der SPD, die seit drei Jahren die Insel regiert, sieht man das Unheil im zunehmenden Tourismus. „Der Ausverkauf der Immobilien wird täglich schlimmer“, sagt Hauke Zetl. Der Bio-Bauer sitzt für die SPD im Bauausschuss der Gemeinde. Er sagt, dass immer mehr Einfamilienhäuser in Ferienhäuser umgewandelt würden. Schlicht weil sie die bessere Rendite brächten. „Meine Meinung ist, dass wir nicht noch mehr Massentourismus auf Pellworm brauchen.“
Menschen übernachteten 2020 auf Pellworm.
Quelle: Kur- und Tourismusservice Pellworm
Tatsächlich steigt die Zahl der Menschen, die auf Pellworm Urlaub machen, seit Jahren. 2012 kamen noch 17.700 Besucher:innen auf die Insel, 2020 waren es trotz Pandemie etwa 22.700, ein Anstieg um fast 30 Prozent. Und seit 2018 gibt es fast acht Prozent mehr Übernachtungsmöglichkeiten in Ferienhäusern und -wohnungen. Der Tourismus wird immer wichtiger, ob gewollt oder nicht.
Landwirte kompensieren sinkende Erlöse mit Einnahmen aus dem Tourismus. Manche geben ihren Hof ganz auf.
Simone Jansen ist Maklerin auf der Insel und findet nicht, dass Ferienwohnungen Teil des Problems seien. Ihr Vater Martin Jansen ist Pellwormer CDU-Lokalpolitiker, und die Familie besitzt einige Ferienwohnungen. Mag sein, dass sie die Tourismusbranche auch deshalb in Schutz nimmt. Die steigenden Bettenzahlen lieferten ein verzerrtes Bild, rechnen die beiden vor: Einige der neuen Ferienwohnungen seien nur auf dem Papier neu. Es gäbe sie schon lange, aber bislang seien sie nicht als solche erfasst worden. Martin Jansen erklärt das Phänomen so: Wenn die älteste Generation einer Familie stirbt, kommt es vor, dass die Kinder das Haus als Ferienwohnung nutzen, aber nicht daran denken, diese anzumelden. Erst später, bei statistischen Bereinigungen werden die Wohnungen sichtbar, obwohl es sie schon lange gibt. Simone Jansen hat in einer Excel-Tabelle alle Verkäufe der letzten drei Jahre gesammelt. Ihren Berechnungen nach hat sich der Dauerwohnraum nicht reduziert. Ob das stimmt, lässt sich nicht klären – laut den Zahlen des Tourismusbüros der Insel gibt es aber immer mehr Ferienwohnungen.
Simone Jansen sagt, sie kenne fast alle Immobilien, die auf Pellworm den Besitzer wechseln. Der alte Inselmakler macht mit 88 Jahren nur noch ein paar Verkäufe. Im Jahr gehen nach ihren Angaben etwa zehn der zwanzig Pellwormer Objekte über ihren Schreibtisch, ungefähr sechs würden ohne Vermittlung verkauft. Sie selbst ist 2017 wegen der Kinder zurückgekommen. Wie die meisten Pellwormer hat sie mehrere Jobs: Neben Immobilienverkauf und -bewertung arbeitet sie im Versicherungsbüro ihres Vaters.
Simone Jansen führt ihr Maklerbüro im Neubaugebiet von Tammensiel.
Simone Jansen sieht im Tourismus die Zukunft der Insel. Von Landwirtschaft allein würden die Pellwormer:innen nicht überleben können. Das Problem mit dem Wohnraum, sagt sie, komme von den vielen Zweitwohnungsbesitzer:innen. „Im ersten Jahr verbringen sie noch sechs Wochenenden hier, im zweiten drei, und im dritten jammern die Kinder, dass sie auch mal wieder nach Spanien wollen“, sagt sie. Ferienwohnungen hingegen seien eine wichtige Einnahmequelle für viele Einheimische. Und die Gäste kurbelten die lokale Wirtschaft an, sagt Jansen. Doch nicht alle würden ihren Leerstand vermieten: „Die richtig Reichen haben es nicht nötig, sich das Bett mit Fremden zu teilen.“
Das Problem nennen auch viele andere auf der Insel: Neben der Dauerbevölkerung wachse auch die Gemeinschaft der Wochenend-Pellwormer:innen und dadurch gebe es Leerstand. Käufer aus Hamburg oder dem Rheinland, die auf der Suche nach einem Sommerdomizil sind, ziehe es angesichts der horrenden Immobilienpreise von Sylt und Rügen nun auch nach Pellworm. Und die Einkommen in Hamburg sind im Durchschnitt ein Viertel höher als auf Pellworm.
Doch ob die Zahl der Festländer mit Inselhaus gestiegen ist, lässt sich nicht eindeutig sagen. Seit 2019 gibt es zwar stetig mehr Personen mit Nebenwohnsitz auf der Insel. Doch wer nie selbst in seinem Haus übernachtet, sondern nur vermietet, muss es nicht als Zweitwohnsitz anmelden. Das trifft sicher auf einige Ferienhauseigentümer:innen zu, die deswegen in dieser Statistik nicht auftauchen.
Nach Simone Jansens Erfahrung müssen Wunsch-Pellwormer:innen mindestens drei Monate suchen. Grundsätzlich biete sie ihre Objekte erst mal den Pellwormer:innen an, über Anzeigen in der Inselzeitung. Doch oft lägen die Preise so hoch, dass Jansen schon weiß, dass sich das kein Inselbewohner leisten kann. Sie sei im Zwiespalt: „Ich muss den Verkäufern marktgerechte Preise bieten. Mein Herz schlägt aber auch für die Einheimischen.“ Wo es 2018 noch Häuser für 2.000 bis 3.000 Euro pro Quadratmeter gegeben hätte, koste die gleiche Fläche in einem Reetdachhaus heute über 6.000 Euro. Ihr teuerstes Objekt verkaufte sie für 750.000 Euro.
Anfragen für Zweitwohnungen beantworte sie mit: „Ich schaue mal.“ Und für Familien lege sie sich richtig ins Zeug: „Bei Familien mache ich Gesamtberatung. Einer Familie habe ich Stellenanzeigen von Pellworm geschickt, für den Vater als Maurer. Und als ich ein Haus verkauft habe, habe ich die Familie gleich als Mieter mitgeliefert.“
Wenn man Jansen auf ihre Macht über die Wohnungen anspricht, wird ihr unbehaglich. „Meine Verantwortung ist mir bewusst“, sagt Jansen nach langem Grübeln. „Die Frage ist: Wer soll nach Pellworm ziehen? Ältere, die ihren Lebensabend im Grünen verbringen wollen? Zweitwohnungsbesitzer? Oder junge Familien, die hier zur Wirtschaft beitragen?“
Der wachsende Bedarf an Wohnraum kollidiert auf Pellworm mit einem ziemlich unveränderlichen Bestand. Denn obwohl über 90 Prozent der Insel unbebaut sind, gibt es kaum freie Bauplätze. Im Neubaugebiet des Hauptortes Tammensiel sind alle Grundstücke verkauft. Und der Großteil des grünen Inneren der Insel gilt baurechtlich als Außenbereich.
Auf der ganzen Fläche darf nur in Ausnahmefällen gebaut werden, etwa von Bauern, die einen Alterssitz für die Hofübergabe brauchen. Dieses Gesetz soll in Deutschland die Zersiedelung verhindern und Wohnsiedlungen bündeln, damit sie günstiger angebunden werden können. Doch auf Pellworm gehören die verstreuten Höfe zum historischen Bild. Für diese Realität ist das Baurecht zu unflexibel.
Tom Kochs Eltern würden gerne ein benachbartes Feld in Bauland verwandeln. Zurzeit haben sie es an einen Bauern verpachtet. „Wir wollen die Grundstücke an Menschen verkaufen, die einen Arbeitsvertrag von der Insel vorweisen können“, sagt Koch. Doch das darf die Familie nicht, es wäre Zersiedelung.
Die Gemeinde kennt das Problem der Wohnraumknappheit seit Jahren. Passiert ist wenig. Bauen kostet auf Pellworm 40 bis 50 Prozent mehr als auf dem Festland. Und die Insel habe schlicht kein Geld, um selbst Häuser und Wohnungen zu errichten, sagt die Bürgermeisterin der Insel, Astrid Korth (SPD). Seit Jahrzehnten ist Pellworm Bedarfsgemeinde, wird vom Land bezuschusst. Kein Haushalt kann beschlossen werden, ohne dass er von der Kommunalaufsicht abgenickt wurde.
In einem bislang ungenutzten Teil des Baugebiets sollte schon seit einigen Jahren bezahlbarer Wohnraum entstehen. Die Gemeinde hat die Kosten für ein soziales Wohnungsbauprojekt kalkulieren lassen. Nach Abzug der staatlichen Förderung müsse die Gemeinde noch rund 2,2 Millionen Euro einbringen, sagt Martin Jansen, der für die CDU im Bauausschuss sitzt. In der aktuellen Lage sei das völlig unrealistisch. Pellworm bräuchte Unterstützung vom Land, und noch ist unklar, ob die Landesregierung in Kiel das Vorhaben unterstützen will. Hauke Zetl hingegen ist dafür, dass sich die Gemeinde das nötige Geld von Banken leiht.
Es heißt, kürzlich habe ein privater Investor angeboten, Wohnungen auf der freien Fläche zu bauen und diese günstig und dauerhaft zu vermieten. Doch mit Investoren tun sich nicht wenige auf der Insel schwer, gerade zu einer Zeit, in der die Angst vor Kommerzialisierung umgeht.
Einfamilienhäuser in Pellworms Neubaugebiet.
Zurzeit deutet nichts darauf hin, dass sich der Wohnungsmarkt auf Pellworm in den nächsten Jahren entspannen wird. Und das Problem verlagert sich von den den Mietern zu den Arbeitgebern: Hotelbesitzer und Gastronomen sind im Vorteil, wenn sie ihren Angestellten Wohnungen zur Verfügung stellen können.
Besonders betroffen ist die Sozialstation auf Pellworm, die im Moment etwa 60 Menschen pflegt und versorgt. Bettina Eisert leitet die Station seit knapp einem Jahr. Sie sagt: „Der Wohnungsmangel ist das größte Problem, das wir hier haben. In Bewerbungsgesprächen ist die erste Frage immer die nach der Wohnung.“ Schon jetzt muss die Sozialstation mehr zahlen als auf dem Festland üblich, um Bewerberinnen holen zu können. Mit einer Wohnung könnten sie den Übergang auf die Insel erleichtern. Doch der Träger, der Pellwormer Ortsverein des Deutschen Roten Kreuzes, und die unterstützende Gemeinde haben nicht das nötige Geld. Ihre eigene Insel ist ihnen zu teuer geworden.