Ertrinken wollen sie hier nicht
Kaum ein Ort in Deutschland ist so bedroht vom Klimawandel wie Pellworm. Wie gehen die Einheimischen damit um?
Kaum ein Ort in Deutschland ist so bedroht vom Klimawandel wie Pellworm. Wie gehen die Einheimischen damit um?
Foto: Maria Rohweder
Das brandneue Haus von Yannick Frener und Malin Harrsen steht am Deich, als wäre nichts.
Als stünde es nicht auf einer Insel, die einen Meter unter dem Meeresspiegel liegt.
Als stünde es nicht auf einer Insel, die, falls der Deich bräche, vollliefe wie eine Badewanne.
Wenn man wissen will, was der Klimawandel hautnah bedeutet, muss man nach Pellworm fahren. Es ist einer der Orte in Deutschland, die der Klimawandel wohl am frühesten und härtesten treffen wird: Von draußen droht die Sturmflut, und wenn es zu lang regnet, läuft die Insel voll. Man könnte meinen, dass die Menschen hier zittern. Dass sie darüber nachdenken, fortzuziehen.
Doch dann setzt man sich zu Yannick Frener und seiner Freundin Malin Harrsen auf den Hof mit Blick auf das Haus am Deich. Und wenn man sie fragt, ob sie jemals die Insel verlassen würden, antwortet Harrsen: „Da müssen schon viele Stricke reißen. Unser Haus steht jetzt.“ Es ist auf Kinder ausgelegt.
Wenn man Umweltpsycholog:innen nach ihrer Meinung zur Stimmung auf Pellworm fragt, hört man Sätze wie: Pellworm passt wirklich wie die Faust aufs Auge.
Es gibt etwas, das nennt man „unrealistischen Optimismus“. Schlimme Dinge passieren, ja. Aber vor meiner Haustür?
Die Familien von Frener und Harrsen wohnen seit vielen Generationen auf der Insel. Die beiden sind jung, 29 und 25 Jahre alt. Ihre Zukunft liegt auf der Insel, sagen sie. Er ist Landhändler, verkauft Saatgut, Pflanzenschutz- und Düngemittel. Sie ist Projektmanagerin. Die blonden Haare zerzaust, die Sprache nordfriesisch gefärbt.
Knapp 20 Fahrradminuten entfernt, im Osten der Insel, wohnt ein Mann, den hier manche einen Spinner nennen. Hauke Zetl ist Bio-Landwirt, 41 Jahre alt, er hat eine Frau und drei Kinder. Die braunen Haare zerzaust, die Sprache nordfriesisch gefärbt.
Setzt man sich zu Zetl in den Garten und fragt ihn nach der Zukunft, sagt er: „Es ist Zeit zu handeln, am besten in einer Gemeinschaft.“ Ob er für immer bleiben möchte? „Wenn ich hier nicht dran hängen würde, wäre ich schon längst abgehauen”, sagt er. „Aber ertrinken will ich hier nicht.“
Wenn Gefahr droht, empfinden Menschen Stress. Dann gibt es zwei Wege.
Der eine Weg: den Stress reduzieren. Indem man sagt: Ich kann nichts ändern. Jemand muss, jemand wird kommen und das regeln. So reagieren sehr viele Menschen.
Macht ein Hausbau Sinn, auf einer Insel ohne Zukunft, Yannick Frener? „Wenn die Deiche brechen, wäre das der Worst Case“, sagt er. „Aber warum soll man sich Gedanken machen, wenn das vielleicht nicht passieren wird?“ Er vertraut auf die Deiche, die Forschung, die Technik.
Der andere Weg: das Problem anpacken. Entscheiden: Verlasse ich die Insel? Kämpfe ich? So reagieren weniger Menschen.
Yannick Frener und Malin Harrsen vor ihrem Hof. Sie wollen auf Pellworm bleiben.
Der Landwirt Hauke Zetl will etwas ändern. Nicht immer fühlt er sich dabei unterstützt.
Hauke Zetl regt sich oft auf. Vielleicht engagiert er sich deswegen auch politisch. Irgendwo muss er hin mit der ganzen Wut. Er macht Lokalpolitik für die SPD, engagiert sich im Umwelt- und Bauausschuss. „Es geht dort aber zu 90 Prozent nur ums Bauen und nicht um Umweltthemen.“ Manchmal, sagt er, balle er auf Versammlungen die Fäuste in den Taschen.
Wenn Menschen keine vergleichbaren Gefahren kennen, fällt es ihnen schwer, eine Gefahr überhaupt als solche zu identifizieren. Ein Ort soll einfach so verschwinden? Unvorstellbar.
2017 fluteten starke Regenfälle Pellworm. Danach fuhren manche auf den Fahrradwegen Wasserski. Man pumpte das Wasser fort. Im selben Jahr stand Yannick Frener bei einer Sturmflut nachts auf dem Deich. „Da waren nur noch ein paar Meter Platz.“
2018 war auf Pellworm Dürre, die Ernte war schlecht. „Aber der Tourismus boomte“, sagt Frener. 2019 war auf Pellworm wieder Dürre. Die Ernte war schlecht. „Aber die Leute sind hier rübergekommen bei dem geilen Wetter, auch Tagestouristen“, sagt Frener. Er überlegt jetzt, Ferienwohnungen zu vermieten.
Macht er sich keine Gedanken, dass die Insel absäuft? „Ja, doch, schon“, sagt Frener. „Gerade jetzt mit dem Haus.“ Aber das Problem mit den Gänsen beschäftige ihn mehr. Sie fressen regelmäßig die Ernte weg. Der wirtschaftliche Schaden.
Der wütende Bauer Zetl sagt: „Etwa acht Prozent der Treibhausgase werden von der Landwirtschaft verursacht.“ Wenn er wütend wird, muss er an ein Gedicht denken, sagt er. Das Gedicht handelt vom Untergang der Stadt Rungholt. Das Meer soll sie unter sich begraben haben.
„Wo gestern noch Lärm und lustiger Tisch,
Schwamm andern Tags der stumme Fisch.“
Zetl ärgert sich, wie konventionelle Landwirt:innen ihre Böden spritzen. Wie die Insel sich damit rühmt, das lokale Schwimmbad mit Abwärme aus der Biogasanlage zu heizen – während durch Maismonokulturen wiederum die Böden für die Biogasanlage ausgelaugt werden. Oder wie man auf der Insel für einen Gesundheitshof kämpft. „Was haben die Menschen in hundert Jahren von einem Gesundheitshof?“ Man müsse die Landwirtschaft umkrempeln und regenerativer gestalten.
Man muss sagen: Keiner weiß, ob Pellworm wirklich absäuft. Und falls doch, wann. Vielleicht verschluckt das Meer die Insel in 300 Jahren, vielleicht reicht es, den Deich zu erhöhen, vielleicht rettet eine neue Technologie die Insel. Aber vielleicht kommt morgen auch die größte Sturmflut, die die Insel je gesehen hat, und flutet das brandneue Haus am Deich.
Yannick Frener und Malin Harrsen sind ein junges Paar, das seine Zukunft plant. Sie könnten auch in Berlin-Kreuzberg wohnen, oder in Wuppertal. Sie wollen ihr Leben leben, und dass die Dinge morgen noch so sind wie heute. Hauke Zetl ist ein Bio-Landwirt, der an Gedichte denkt, wenn er wütend wird. Ein Mann, den hier manche einen Spinner nennen.
„Bedrohungen wie der Klimawandel verstärken das Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen Gruppe“, sagt Immo Fritsche. Er ist Professor für Sozialpsychologie an der Universität Leipzig. „Grundsätzlich orientieren wir uns in unserem Verhalten an anderen Menschen.“ Bedrohungen verstärken den Einfluss sozialer Normen auf das Verhalten: Man macht eben das, was sein:e Nachbar:in macht.