Eine Insel, die sich nie verändert?

Vor 50 Jahren porträtierte der Hamburger Fotograf Ulrich Mack die Pellwormer:innen. Wir haben fünf, die noch leben, getroffen, fotografiert und gefragt: Was hat sich seitdem getan?

Im Jahr 1968 kam Ulrich Mack zum ersten Mal nach Pellworm. Der stern plante damals eine Reihe über Schriftsteller und ihr Paradies. Siegfried Lenz hatte Pellworm angegeben, Mack sollte die Insel fotografieren. Er fand dabei heraus, dass Lenz nie dort gewesen war, nur den Gedanken gut fand, Pellworm sei ein Paradies.

Mack war vorher durch Israel und Kenia gereist, hatte US-Präsident John F. Kennedy und Chanson-Sängerin Hildegard Knef fotografiert. Aber Pellworm wurde sein wichtigstes Projekt. „Meine Arbeiten zeigen alle, dass ich ein guter Fotograf bin – aber die Inselbilder erzählen, wie ich denke“, sagt er heute.

Immer wieder kam Mack nach Pellworm, kannte irgendwann fast alle Einwohner:innen, gewann ihr Vertrauen und porträtierte in den Jahren 1978 bis 1981 mit Fotos von ihnen die Insel. Viele derjenigen, die er fotografierte, sind inzwischen verstorben oder weggezogen. Doch ein paar sind geblieben. Fünf von ihnen haben uns erzählt, was sich getan hat seit dem letzten Bild.

Frachtschifferfamilie

Damals: August und Irmgard Matthiesen mit vier ihrer fünf Söhne.

Heute: Hans-Werner Matthiesen

Er, ganz rechts auf dem Bild, ist der Einzige, der geblieben ist. Seine Eltern, der Mann mit Kapitänsmütze und die Frau im Pelzmantel, sind gestorben. Seine Brüder auf dem Bild leben inzwischen in der Eifel, in Husum und in Geesthacht. „Wegen der Frauen“ – so heißt es oft, wenn Männer wegziehen von der Insel, auch in diesem Fall. Hans-Werner Matthiesens Frau ist Pellwormerin, er blieb. Zumindest theoretisch: Als Frachtschiffer ist man ja eher selten im Heimathafen. „Wenn es hochkommt, war ich 14 Tage im Jahr zu Haus’“, erzählt er. Meist war er auf See – fuhr Frachter nach England, Schweden und in die Niederlande.

Im Jahr 2000, mit 39 Jahren, wurde er dann zum Passagierschiff-Kapitän, steuerte im Sommer das Pellwormer Ausflugsschiff und im Winter die Fähre zum Festland. Nun ist er Rentner und wird bald 70, er angelt viel und räuchert Wurst. Sein ältester Bruder ist auch noch auf Pellworm. „Der wollte damals nicht aufs Foto“, und stand mürrisch daneben.

Heute bauen die beiden zwar zusammen ein altes Rettungsboot um, aber das Meer vermisst Matthiesen nicht: „Ich hab 51 Jahre lang gefahren, dat langt.“ Und von Pellworm will er auch nicht mehr wegziehen. „Mal einen Tag nach Husum, aber dann muss man schauen, dass man abends wieder heimkommt“, sagt er. Manchmal macht er auch Urlaub bei einem Bruder in der Eifel oder in Mecklenburg-Vorpommern, aber es geht immer wieder zurück. „Auf der Insel hat man wenigstens seine Ruhe.“

Nachdem Macks Foto veröffentlicht wurde, erkannten wohl manchmal Touristen Matthiesens Gesicht. Sie hätten ihn gesehen – „in Amerika“ oder in München, in Leipzig, eben dort, wo sein Porträt ausgestellt worden waren. Ihm erscheint das nicht lange her. „So schnell vergeht die Zeit, sehr schnell sogar.“

Vier Generationen

Damals: Anna Elisabeth, Gisela Marie, Simone und Helene-Adolphine-Henriette Jansen (von links nach rechts)

Heute: Gisela Marie, Simone und Helene Jansen (von links nach rechts)

Der Friesenhof, in dessen Garten das Bild entstanden ist, gehört immer noch der Familie Jansen. Nur hat ihn nicht Simone übernommen, die älteste Tochter der Jansens, auf dem Bild noch ein Baby. Sondern ihre Schwester Christina, die damals noch im Bauch der Mutter heranwuchs. Sie führt den Hof mit ihrem Mann in vierter Generation. Auch Simone Jansen ist vor vier Jahren zurück auf die Insel gekommen. Sie arbeitet als Immobilienmaklerin und zieht ihre 10-jährige Tochter Helene groß, benannt nach ihrer Uroma rechts im Bild.

Als das erste Foto entstand, führte noch Gisela Marie Jansen den Betrieb, die stehende Frau in der Mitte des Bildes. Sie ist die Mutter von Christina und Simone. „Das waren teilweise keine rosigen Zeiten“, erzählt sie heute, mit 63 Jahren. Schließlich musste der Hof genug für alle vier Generationen erwirtschaften. Mal fiel die Getreideernte aus, mal brachen die Milcheinnahmen weg. Zur Sicherheit arbeitete ihr Mann Martin Jansen parallel als Versicherungsfachmann, das macht er bis heute. Außerdem entschieden die beiden, stärker auf Tourismus als auf die Landwirtschaft zu setzen.

Inzwischen ist der Hof vor allem Ferienanlage, mit einem kleinen Laden für die eigenen Woll- und Schafmilch-Produkte. Gisela Marie Jansen wohnt nun im Nachbarhaus und betreut dort vier der Ferienwohnungen. „Aber sobald auf dem Hof Not am Mann ist, helfen wir gerne“, sagt sie. Drei ihrer vier Töchter leben auf Pellworm, die andere komme aber auch häufig zu Besuch. „Gerade für die Kinder ist das toll auf so einer Insel, wo man viele Freiheiten hat“, erzählt Simone Jansen. Ihre Tochter Helene hat fünf Cousinen und Cousins auf Pellworm. Und wenn man sie fragt, ob sie auf Pellworm bleiben will, wenn sie groß ist, antwortet sie schnell und energisch: „JA!“

Fischer und Sohn

Damals wie heute: Jens Johann und Jan Ohrt.

Als Ulrich Mack das Foto der Ohrts schoss, wusste noch niemand, dass Jan mal in die Fußstapfen des Vaters treten würde. Doch mit 16 Jahren ging er bei ihm in die Lehre, um selbst Fischer zu werden. Heute stehen die beiden, inzwischen 74 und 44 Jahre alt, für das Foto vor dem Kutter „Columbus“, der Jan und seinem Bruder Hermann gehört. Vater Jens Johann, oder Jeje, wie er auf der Insel genannt wird, besitzt nur noch ein kleines Boot, mit dem er manchmal rausfährt.

Auch sonst hat sich einiges geändert: Der Kutter ist nun aus Stahl statt aus Holz, die Krabben sortieren sie nicht mehr mit den Händen, das machen Maschinen; Lieferbänder transportieren sie durch die Sieb- und Kochstationen an Bord. Und es gibt wieder mehr Krabbenfischer auf Pellworm.

Die Ohrts sind die engsten Pellwormer Vertrauten von Ulrich Mack, ohne sie hätte er wohl kaum so viele Menschen porträtieren können. Er war auf ihrer Hochzeit, hat die Kinder als Babys auf dem Arm gehalten. „Jeje ist einfach und sagenhaft“, erzählt er heute. Wenn Macks Tochter Urlaub auf der Insel macht, schläft sie bei den Ohrts.

Warum Pellworm? „Die Insel ist einzigartig“, sagt Mack. „Die Menschen dort sind alle so besonders eigen und deshalb beeindruckend.“

von

Nele Spandick