Dieser Mann schuftet für Krabbenbrötchen
Stefan Koch ist Krabbenfischer. Eigentlich liebt er seinen Job. Aber einmal war er kurz davor, hinzuschmeißen. Eine Geschichte in neun Bildern.
Stefan Koch ist Krabbenfischer in dritter Generation, geboren und aufgewachsen auf Pellworm. Er ist 50 Jahre alt, seit 30 Jahren fischt er Krabben. Sein Kutter ist die „Maja“. Dort arbeitet er das ganze Jahr, auch bei Regen und Wind. „Als ich jung war, war das Fischen noch harte körperliche Arbeit. Wir waren teilweise fünf Tage am Stück auf dem Kutter und haben fast rund um die Uhr geschuftet. Es war anstrengend. Aber ich war frei. Deshalb liebe ich meinen Job – eigentlich. Weil ich darin maximal frei sein könnte: Ich kann alles selbst entscheiden, wann ich an Bord schlappe, wo ich meine Netze auswerfe, wem ich meine Krabben verkaufe.“
Sechs Krabbenkutter gibt es auf Pellworm. Die Fischer organisieren sich seit 2012 in einer Erzeugergemeinschaft. Diese siebt und wiegt die Krabben und verhandelt mit den Großhändlern. Die Fischer erhoffen sich davon höhere Preise, als wenn sie einzeln verhandeln. Für Stefan Koch ist die Bilanz der Gemeinschaft jedoch gemischt: Noch immer seien die Preise zu niedrig, klagt er.
„Mein Revier liegt westlich von Sankt Peter-Ording und rund um Pellworm in den kleinen Wasserläufen im Wattenmeer. Früh in der Saison müssen wir manchmal weiter rausfahren – in Richtung Niederlande –, weil die Krabben im Wattenmeer noch zu klein sind. Aber mein kleiner Kutter hat auf dem offenen Meer Probleme: Ab Windstärke 4 oder 5 droht der Kutter zu kentern. Außerdem kann die niederländische Konkurrenz mit ihren großen Kuttern viel mehr Krabben fangen und damit billiger arbeiten als ich.“
Frühmorgens bei der Ankunft am Pellwormer Hafen: Decksmann Nico Schmidt hakt die Kisten in einen Seilzug, immer vier auf einmal. Die Kisten sind gefüllt mit rosaroten Krabben. Es riecht fischig, frisch. 26 Kisten haben sie mitgebracht, in jeder häufen sich 16 Liter Nordseekrabben. Ein ordentlicher Fang. Koch sagt, er sei zufrieden.
Nordseekrabben sind Krebstiere. Pro Jahr legen die Weibchen 10.000 bis 20.000 Eier, die zunächst im Meer treiben. Später wandern die Tiere in seichte Buchten und ins Wattenmeer. Dort leben sie auf dem Meeresboden und fressen Schnecken, Muscheln und Würmer.
Die Krabbenfischer genießen in der EU eine Sonderstellung: Diese legt für fast alle Meerestiere strenge Fangquoten fest – für Krabben aber nicht. Der Grund: Die Populationen der Krabben entwickeln sich unvorhersehbar. Weil kein Zusammenhang zwischen Fangmenge und Populationen nachgewiesen ist, gibt es keine Quoten.
Das wahre Geschäft für Koch findet nicht am Pellwormer Hafen statt: 95 Prozent seines Fangs verkauft er an den Großhändler. Am Hafen legt Koch selbst die Preise fest, beim Großhändler muss er den Preis akzeptieren, der ihm geboten wird: 3 Euro pro Liter.
Morgens, wenn Stefan Koch in den Hafen einläuft, erwarten ihn nicht nur die Möwen, sondern auch erste Pellwormer:innen. Die schönen, dicken Krabben verkauft Koch direkt am Hafen: Die Gastronomen zahlen 4,50 Euro pro Liter, Tourist:innen und Pellwormer:innen 5 Euro.
Ein Kunde tritt an Koch heran: „Hast du zwei Liter übrig?“
„Übrig hab’ ich gar nichts“, sagt Koch.
Der Kunde scheint unzufrieden. „War auch mal günstiger.“
„Musst ja nicht kaufen.“
Vor der niederländischen Küste gab es Probleme: Koch und Schmidt holten ein prall gefülltes Netz hoch. Doch statt rosa Krabben war es voll grün-brauner Algen. „Einen ganzen Hol, den Inhalt eines Netzes, mussten wir über Bord geben”, sagt Koch. „Das war ein riesiger Berg, der sich auf dem Deck getürmt hat. Die haben alle Anlagen verstopft.”
Einige vertrocknete Algen-Pflänzchen hat er mitgebracht. Die Algen wuchern, weil durch den Klimawandel das Wasser wärmer und nährstoffreicher als früher ist, sagt Koch. Krabbenfischer spüren schon heute die Klimakrise. Zugleich werfen ihnen Umweltschützer:innen vor, mit den Netzen das Ökosystem Wattenmeer zu schädigen.
Nach jahrzehntelangem Streit stimmten Fischer:innen und Umweltschützer:innen 2017 einem Kompromiss zu: Ihre Krabben bekamen das MSC-Siegel für nachhaltige Fischerei, dafür verpflichteten sie sich zu mehr Umweltschutz. Dazu gehören beispielsweise größere Maschen in den hellen Netzen, sodass die kleinen Jungkrabben hindurchschlüpfen können. Dem Kompromiss stimmten auch viele Umweltverbände wie der WWF oder Greenpeace zu.
Hat Stefan Koch jemals daran gedacht, aufzuhören? „Nur einmal, das war 2015. Die Preise waren unten, wir hatten kaum Krabben in den Netzen. Dann ist mir auch noch meine Frau weggelaufen. Da habe ich meinen Kutter inseriert. Hätte sich damals jemand gemeldet, hätte ich verkauft. Wer weiß, vielleicht wäre ich heute Hausmeister auf Gran Canaria. Aber so bin ich eben weiter Krabbenfischer. In zehn Jahren sollte Schluss sein. Dann war ich lange genug auf dem Wasser.“
Alle Fotos: Laura Binder