Fridays ohne Future?
Die Pellwormer Ortsgruppe von Fridays for Future hat ein Problem: Viele Schüler:innen verlassen mit 16 Jahren die Insel, um Gymnasien auf dem Festland zu besuchen. Wer bleibt, um zu protestieren?
Die Pellwormer Ortsgruppe von Fridays for Future hat ein Problem: Viele Schüler:innen verlassen mit 16 Jahren die Insel, um Gymnasien auf dem Festland zu besuchen. Wer bleibt, um zu protestieren?
Foto: Laura Binder
Levin Petersen sitzt auf den Steinstufen vor dem Amt in Pellworm. Das kleine Backsteinhaus ist das einzige Behördengebäude auf der Insel – der einzige Ort, an dem der Staat einen Sitz hat.
Levin ist 19 Jahre alt. Er hat die meiste Zeit seines Lebens auf Pellworm verbracht. An vielen Freitagen in den vergangenen Jahren hat er gegen die Entscheidungen jenes Staates demonstriert: Als Teil von Fridays for Future kämpft er gegen die Klimakrise. Denn Pellworm könnte der steigende Meeresspiegel besonders hart treffen.
„Vor vier Jahren haben mehrere große Herbststürme unglaublich viel Regen gebracht: Da ist die Insel richtig vollgelaufen – wie eine Badewanne. Einige Häuser wären fast abgesoffen. Viele der tief liegenden Felder waren überschwemmt. Das war echt heftig. Meine Familie wohnt in der Mitte der Insel. Ich konnte dort mit einem Stand-up-Paddleboard ins Wasser gehen und bis zum Hafen paddeln. Das sind ungefähr drei Kilometer. Die Felder waren alle überschwemmt. Der Klimawandel kam praktisch bis ans Gemüsebeet. Das Jahr danach war dagegen sehr trocken. Durch die Felder zogen sich tiefe Risse. Solche extremen Ereignisse werden mit dem Klimawandel häufiger.
Ich erlebe diese Wetterlagen seit meiner Kindheit. Ich erinnere mich an eine Nacht im Jahr 2013, da war ich elf Jahre alt: Mein Vater wurde als Deichläufer eingesetzt und musste in der Nacht mit einem Walkie-Talkie und einer Taschenlampe an den Deich und die Wasserstände durchgeben. Das Wasser ist damals zwei Drittel des acht Meter hohen Deichs hochgeklettert. Der Wind war so stark, dass mein Vater kaum stehen konnte. Da merkt man, wie machtlos man der Natur gegenübersteht. Diese Ereignisse haben mich geprägt. Wenn man das erlebt, muss man sich für mehr Klimaschutz einsetzen, finde ich.“
Levin Petersen ging zwar auf dem Festland zur Schule, kam aber für
die Demonstrationen dennoch nach Pellworm.
Für die Klimademonstrationen auf Pellworm reist Levin eigens vom Festland an. Mit 16 musste er nach der Realschule die Insel verlassen. So wie jeder junge Mensch, der ein Gymnasium besuchen und Abitur machen will.
Vor etwa zwei Jahren lebte Levin unter der Woche bereits auf dem Festland in Husum und ging dort zur Schule. Damals startete ein elfjähriges Mädchen die Bewegung auf der Insel. Man könnte Eva-Lotta Röhm als die Greta Thunberg Pellworms bezeichnen. Heute ist sie 13 und erzählt:
„Mit zehn Jahren bin ich mit meiner Mutter nach Pellworm gezogen. Fridays for Future fand ich schon damals faszinierend. Ich habe gehört, wie meine drei älteren Schwestern darüber sprachen. Danach habe ich mich im Internet über Klimaschutz informiert.
Leider gab es die Bewegung auf der Insel nicht. Also habe ich einen Aufruf an der Schule gestartet. Eine Freundin und ich haben auf ein Bettlaken geschrieben: ‚Wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut.‘ Damit haben wir uns am Freitag vor das Amt gesetzt und demonstriert. Ich habe eine Doppelstunde Mathe verpasst. Nur meine Mutter und ein paar andere Leute waren da. Beim dritten Mal aber kamen schon etwa 20 Mitschülerinnen und Mitschüler – vor allem aus der zehnten Klasse.
Wir haben eine Weile lang jede Woche demonstriert, später alle zwei Wochen. Einige Lehrer sagten, sie hätten sich am liebsten zu uns gesetzt. Andere haben uns vorgeworfen, wir würden nur die Schule schwänzen wollen.
Ich wünsche mir, dass die Klimakrise endlich ernst genommen wird. Es ist beängstigend, auf einer Insel zu leben und zu wissen: All die Menschen, die ich dort gern habe, sind vom Klimawandel bedroht. Das fühlt sich an, als würde man mir mein Zuhause nehmen.“
Im Herbst 2020 sprangen die Jugendlichen bei einer
Bade-Demonstration in die kalte Nordsee.
Von dem Rückhaltebecken führt eine Rinne durch den Deich. Darüber steht ein kleines Backsteinhäuschen. Die Ketten darin halten das Schott fest, eine Platte, die das Wasser in der Insel hält oder aus ihr raushält. Es ist quasi der Stöpsel der Insel.
Etwa vier Kilometer südlich von dort steht der rot-weiße Leuchtturm der Insel. Dort fand im Herbst letzten Jahres eine der letzten Demonstrationen auf der Insel statt. Die Jugendlichen stiegen dafür in die kalte Nordsee. Auch Jakob Backsen war dabei. Seine Familie hatte eine Klimaklage eingereicht – und das Bundesverfassungsgericht gab ihr recht. Es entschied, dass das Klimaschutzgesetz nicht verfassungskonform sei, weil es künftige Generationen nicht genug berücksichtige. Jakob engagiert sich auch bei Fridays for Future. Die Demonstration am Leuchtturm war seine Lieblingsaktion:
„Es war Herbst und kalt. Trotzdem sind wir ins Meer gestiegen. Wir hatten Schilder mitgebracht, auf denen stand: ‚Uns steht das Wasser bis zum Hals.‘
An der Schule hatte sich herumgesprochen, dass Eva-Lotta einen Klimastreik angefangen hat. Die Schulsprecher haben vorgeschlagen, dass sich die ganze Schule beteiligen könnte. So bin ich zur Ortsgruppe von Fridays for Future gekommen.
Wir müssen die Politik ermahnen und darauf hinweisen, dass es nicht um ihre Zukunft geht, sondern um unsere. Wenn man jetzt handelt, kann man den Meeresspiegelanstieg noch stoppen – und die Insel retten. Aber wenn es so weitergeht, hat die Insel keine Zukunft.
Eigentlich fühle ich mich auf Pellworm sicher. Noch. Die Deiche werden in den nächsten 50 Jahren vermutlich nicht brechen. Aber die Auswirkungen der Klimakrise spüren wir schon: lange Regenperioden, trockene Sommer. Extreme Wetterereignisse werden häufiger. Auch für die Landwirtschaft ist das übel. Meine Familie hat einen Hof, den ich gerne mal übernehmen würde.
Derzeit gehe ich in die elfte Klasse des Gymnasiums in Husum. Wer nach zehn Schuljahren weiterlernen oder eine Ausbildung machen will, muss oft die Insel verlassen. Das ist ein Problem für den Aktivismus auf der Insel. Damit unsere Ortsgruppe nicht verschwindet, müssen Jüngere nachkommen.“
Vom Deich vor dem Leuchtturm schaut man auf die Nordsee. In den vergangenen Monaten gab es kaum Aktionen der Pellwormer Ortsgruppe, nur online fanden einige Vernetzungstreffen statt. Durch Corona ist das Engagement eingeschlafen. Levin, Eva-Lotta, Jakob und die anderen wollen es aber gerne wieder zum Leben erwecken. Beim globalen Klimastreik Ende September demonstrieren Jugendliche wieder vor dem Amtsgebäude. Sie richten einen Holzpfahl auf, der viele Meter über ihre Köpfe ragt. Ganz oben hängt ein Schild, auf dem es heißt: ,Hier könnte Ihr Meeresspiegel stehen.‘“