Die Krabbe hat mehr als ein Brötchen verdient
Zum Austernschlürfen reicht es, nach Sylt zu fahren. Was aber isst man an der Nordsee, wenn die Touristen weg sind? Zu Besuch auf Pellworm, mit einer Lektion im Krabbenpulen.
Zum Austernschlürfen reicht es, nach Sylt zu fahren. Was aber isst man an der Nordsee, wenn die Touristen weg sind? Zu Besuch auf Pellworm, mit einer Lektion im Krabbenpulen.
Foto: Maria Rohweder
Wer Sylt besucht, kann dort ohne Weiteres Trüffel-Linguine und Topfenknödel essen. Und natürlich Austern. Man darf das auch toll finden. Genauso kann man an der Nordsee aber auch nach dem Echten suchen, dem Urtümlichen. Oder zumindest nach dem, was man als süddeutsche Städterin dafür hält.
Südlich von Sylt, noch unterhalb von Föhr und Amrum, liegt Pellworm, die drittgrößte der nordfriesischen Inseln, die in den Reiseführern eher weiter hinten steht. Die Insel ist auffallend grün, man trifft Schafe, Kühe und ein paar Urlauber, die gern Fahrrad fahren. Sandstrand sucht man vergeblich, denn Pellworm ist von einem 26 Kilometer langen Deich umgeben, der die Nordsee draußen hält. Das mag der Hauptgrund dafür sein, dass Pellworm – anders als manche Ecken auf Sylt oder Föhr – weniger nach Feriendorf aussieht als nach Bauernhof.
Was man hier isst, bei den echten Nordfriesen, verrät am besten eine echte Pellwormerin.
Eine wie Sinje Lucht. Sie ist auf Pellworm geboren und aufgewachsen. Sie ist ausgebildete Hauswirtschaftsleiterin, Mutter zweier erwachsener Kinder, Herrin über 139 Milchkühe auf dem Jensen-Hof, Gastgeberin für Feriengäste und Co-Vorsitzende des örtlichen Landfrauen-Vereins. Hauptaufgabe dieses Vereins sei es, sagt Lucht, „die Ladys hier bei Laune zu halten“. Die Landfrauen machen gemeinsame Ausflüge und Weinproben, bieten Vorträge und Kreativkurse an, denn: „Da wir nicht so gut von der Insel runterkommen, holen wir uns die große Welt gerne hierher.“ Und sie veröffentlichen Koch- und Backbücher mit typischen Gerichten der Insel.
Sinje Lucht bittet ins Haus, herzlich willkommen, Schuhe anlassen, hier einmal Hände waschen und die Kartoffeln in kleine Würfel schneiden. Es soll Pellwormer Krabbensuppe geben und zum Nachtisch Friesentorte. Es ist 10:30 Uhr und in einer Stunde klettert ihr Mann zum Mittagessen von seinem Trecker.
Auf dem Jensen-Hof soll es heute Krabbensuppe geben, nach Pellwormer Art.
Krabbensuppe ist ein traditionelles Gericht an der Nordsee. Und schmeckt natürlich am besten mit frischen Nordseekrabben. Ein Glück also, dass am Vortag ein Fischer am Hafen von Pellworm fangfrische Krabben verkauft hat. Direkt vom Kutter, fünf Euro der Liter, macht ungefähr 600 Gramm Krabben. Wie man von so etwas erfährt? Über den inoffiziellen Inselfunk per WhatsApp.
Wer fern von der Küste lebt, kann Nordseekrabben tiefgefroren finden, oder abgepackt im Kühlregal, manchmal auch bei gut sortierten Fischhändlern. Fast immer allerdings schon gepult.
Sinje Lucht schält die Karotten und die Zwiebel und gibt Anweisungen, wie die Kartoffeln zu würfeln sind. Und lobt wie die Lehrerin, die man sich immer gewünscht hat. Sie wäscht und putzt den Porree und schneidet den hellen Teil in Ringe – den grünen Teil lässt sie weg, damit die Suppe später eine schöne gelbe Farbe hat.
In einem großen Topf zerfließt der Butterschmalz. Es beginnt zu brutzeln. Lucht schwitzt die Zwiebelwürfel bei mittlerer Hitze glasig an, gibt das restliche Gemüse dazu und lässt es bei schwacher Hitze etwa 10 Minuten dünsten.
Währenddessen geht es ans Krabbenpulen. Sinje Lucht setzt sich mit einer Plastikunterlage an den Tisch, und zeigt, wie es die Fachfrau macht: Sie hält eine Krabbe zwischen Daumen und Zeigefinger und drückt mit dem Daumennagel die Schale ein. Dann zieht sie die Schalenhälften vom Krabbenfleisch ab, sanft, aber bestimmt. Vor Sinje Lucht türmt sich innerhalb weniger Minuten ein beachtlicher Turm aus Krabbenschalen auf.
Das vielleicht Beste am Krabbenpulen: das Plaudern nebenher. „Natürlich mag man nicht jeden hier“, sagt sie. „Aber man muss mit jedem klarkommen. Das ist das Besondere auf so einer Insel.“ Auch ihr Mann Hauke Jensen stammt von Pellworm. Er führt den Hof in sechster Generation. „Eigentlich wollte ich keinen Landwirt“, sagt Sinje Lucht, „aber: Wo die Liebe hinfällt, ne?“ Auch das gehört auf Pellworm dazu: Das Risiko, dass ein Mann auch Landwirt ist, ist ziemlich hoch.
Die Krabbenschalen gibt Sinje Lucht in einen Topf, bedeckt sie mit Wasser und lässt sie köcheln – je länger, desto kräftiger wird das Aroma. Wer nicht an frische Krabben mit Schale kommt oder wenig Zeit hat, kann anstelle der Krabbenbrühe auch Gemüsebrühe verwenden.
Sinje Lucht stammt von der Insel. Ihr Sohn soll bald den Hof übernehmen.
Während der Krabbensud noch zieht, gießt Lucht das Gemüse im Topf mit etwas Gemüsebrühe auf. Dann kippt sie die Sahne dazu, lässt die Suppe kurz aufkochen und püriert sie mit einem Pürierstab. Nach ein paar Minuten duftet es nach Meer. Sie schnuppert, sagt: „Puh, das reicht jetzt auch“, gießt die Krabbenschalen ab, fängt den Sud auf und rührt einen Teil der Krabbenbrühe unter die Suppe. Sie reicht einen Esslöffel Suppe herum, fragt „Schmeckt man’s?“. Man schmeckt es.
Zum Schluss wäscht und putzt Sinje Lucht die Frühlingszwiebeln und schneidet sie schräg in feine Röllchen. Sie erwärmt Butter in einer Pfanne, um die Frühlingszwiebeln darin zu schwenken. Dann gibt sie die Krabben kurz dazu.
Die goldgelbe Suppe füllt sie in tiefe Teller mit buntem Rand. Krabben und Frühlingszwiebeln kommen obendrauf. „Hauke! Essen!“, ruft Sinje Lucht zur Tür hinaus.
Friesentorte besteht aus einem Boden, einer dicken Schicht Pflaumenmus, einer dicken Schicht Sahne und einem Deckel aus Teigecken, die fächerförmig in die Sahne gesteckt werden. Boden und Deckel kann man aus Blätterteig machen, oder aus Mürbeteig. In nördlichen Gegenden Deutschlands gibt es sogar „Friesenboden“ im Supermarkt zu kaufen, vorgebackene, runde Boden- und Deckelplatten aus Blätterteig. „Das macht ja keiner mehr selbst“, sagt Sinje Lucht.
Wer sich für die Mürbeteigvariante entscheidet, beginnt am besten schon am Tag vorher. Butter, Mehl, 150 ml Sahne, Essig und die Prise Salz zügig zu einem Teig verkneten, als Kugel in Frischhaltefolie wickeln und über Nacht in den Kühlschrank legen. Zucker kommt nicht in den Teig.
Am nächsten Tag teilt man den Teig in zwei Hälften und lässt ihn für eine halbe Stunde bei Zimmertemperatur liegen. Dann jede Teighälfte auf einer bemehlten Arbeitsfläche zu einem Kreis mit einem Durchmesser von etwa 24 Zentimetern ausrollen. Den Backofen auf 175 Grad Ober-/Unterhitze vorheizen.
Zwei Backbleche mit Backpapier auslegen. Den ersten Teigboden auf eines der Bleche legen und mit einer Gabel einstechen. Den zweiten Boden auf einem Blech in acht große oder zwölf etwas kleinere Tortenstücke zerteilen. Ungefähr 20 Minuten lang backen, bis beide Teigteile leicht gebräunt sind. Anschließend vollständig auskühlen lassen, damit nichts zerbricht.
Friesentorte ist ein typisches Gebäck der Insel.
Und lebt von großzügig bemessener Schlagsahne.
Für die Süße in der Torte sorgt Pflaumenmus.
Wer Blätterteig verwendet, schneidet ebenfalls zwei runde Böden zu und backt den Teig nach der Anweisung auf der Packung.
Lucht gießt Sahne in einen Becher, dazu ein Päckchen Vanillezucker. Die Sahne wird steif geschlagen.
Den unteren Boden legt Lucht auf eine Tortenplatte und erklärt, dass nun alles ganz einfach ist: Erst bestreicht man den Boden mit einer großzügigen Schicht Pflaumenmus, dann mit einer großzügigen Schicht Schlagsahne. Dann muss man die Teigecken leicht schräg in die Sahne stecken, die Spitzen nach innen, sodass es aussieht wie ein runder Fächer. Wer selbst gebackene Teigecken verwendet, kann die Torte zum Schluss mit Puderzucker bestreuen. Und direkt servieren.
Zu welchem Anlass gibt es Friesentorte? „Nicht jeden Tag, dann wär’ es ja nichts Besonderes mehr. Aber beim Kuchenbasar der Landfrauen, da ist die immer sofort weg“, sagt Lucht. „Und wenn mein Freund Detlef aus Hamburg kommt. Der isst die so gern.“
ZUTATEN
Für 4 bis 6 Personen
1 Liter frische Nordseekrabben (ergibt gepult ca. 600 Gramm)
1 Kilogramm mehlige Kartoffeln
2 Karotten
1 Stange Porree
1 Zwiebel
1 Liter Krabbenbrühe oder Gemüsebrühe
200 ml Sahne
2 Lauchzwiebeln
Butterschmalz
Salz
Pfeffer
Muskat
Zur Nachspeise macht Sinje Lucht eine Friesentorte. Das Rezept dafür findet man auch in dem Büchlein „So backt die Insel – Backbuch des Pellwormer Landfrauen-Vereins“, in dem die „allerbesten Rezepte“ der Landfrauen gesammelt sind.
ZUTATEN
Für 8 bis 12 Stücke
Für die Füllung:
1 Glas Pflaumenmus (350 g oder mehr)
1 Becher Sahne
Puderzucker
1 Päckchen Vanillezucker, wenn man mag
Für den Teig:
250 g Butter
200 g Mehl
150 ml Sahne
45 ml Essig
1 Prise Salz
Alternativ:
300 g Blätterteig oder fertiger Friesenboden